Lessons learned || HAB

02.11.2021

Im Jahr 2018 kam durch die Initiative von Richard Ovenden, dem Direktor der Bodleian Libraries in Oxford, ein Kooperationsprojekt zustande, das die Digitalisierung von mittelalterlichen Handschriften aus deutschen Klöstern zum Ziel hatte. Sowohl in Oxford als auch in Wolfenbüttel gibt es große geschlossene Bestände dieser Herkunft, sodass eine Zusammenarbeit der beiden Bibliotheken nahelag.

Die großzügige Förderung durch die Polonsky Foundation ermöglichte der HAB die Anschaffung modernster Aufnahmetechnik sowie die Unterstützung des Projekts durch Fachpersonal und eine wissenschaftlich Hilfskraft. So konnten exzellente Neuaufnahmen und informative Katalogdaten in das Projektportal eingespeist werden.

Innerhalb von gut zwei Jahren wurden in Oxford und Wolfenbüttel rund 600 Handschriften vollständig digitalisiert und online zugänglich gemacht. In der HAB wurden rund 250 Handschriften mit knapp 110.000 Seiten digitalisiert. Das Projekt ermöglichte eine konservatorische Begleitung, die eine Digitalisierung oftmals erst möglich machte. Einbände und Buchblöcke wurden vielfach durch restauratorische Maßnahmen in einen Zustand gebracht, der eine gefährdungsfreie Arbeit in der Fotowerkstatt erlaubte. Ohne diese Vorarbeiten hätten manche Stücke von der Digitalisierung ausgeschlossen werden müssen. Es zeigte sich, dass die möglichst vollständige Erfassung von Beständen ohne vorherige Maßnahmen dieser Art nahezu unmöglich wäre.

Die neue Kameratechnik ermöglichte digitale Aufnahmen mit über 600 dpi. Dadurch können nun auch kleinste Details der Schrift und der Buchmalerei am Bildschirm durch Vergrößerung mit höchster Präzision wiedergegeben werden. Im Zuge des Projekts wurde an der HAB die IIIF-Technologie eingeführt. Das Kürzel steht für International Image Interoperability Framework. Diese weltweit genutzte Technologie ermöglicht eine verbesserte Präsentation, Vernetzung und Nutzung der Digitalisate durch Forscher*innen und eine interessierte Öffentlichkeit. In diesem Bereich brachte das Projekt einen vielfach nachnutzbaren Innovationsschub. Künftig soll die IIIF-Technologie bei der Präsentation aller digitalisierten Handschriften, historischen Landkarten und druckgraphischen Blättern implementiert werden.

Die wissenschaftliche Erschließung der mittelalterlichen Handschriften ist an der HAB, die zugleich als Handschriftenzentrum für Norddeutschland fungiert, in vollem Gange: In mehreren Projekten, die von der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) gefördert werden, sind momentan Handschriften der HAB, der SUB Göttingen und der Stadtbibliothek Lübeck in Bearbeitung. Daneben laufen ebenfalls DFG-geförderte Digitalisierungsprojekte zu Handschriften aus Wolfenbüttel und Bremen. Ziel ist die vollständige Digitalisierung aller mittelalterlichen Handschriften und ihre detaillierte Erschließung. Dabei geht es um die in den Handschriften überlieferten Texte, ihre künstlerische Ausstattung in Form von Buchmalerei und Einbänden, ihre Herkunft und die Rekonstruktion der Besitzwechsel, die sie im Laufe der Jahrhunderte erfahren haben.

Die in der HAB befindlichen Bestände aus Klosterbibliotheken stammen vor allem aus norddeutschen Ordenshäusern und aus der elsässischen Abtei Weißenburg. Klosterbestände waren bereits Gegenstand eines großangelegten Forschungsprojekts von HAB und Universität Göttingen, in dem die Bibliotheken von Klöstern und Stiften in Goslar, Wöltingerode, Steterburg, Heiningen und Dorstadt untersucht wurden.

Die im Polonsky-Projekt digitalisierten Handschriften aus den Klöstern in Weißenburg, Lamspringe, Clus (bei Bad Gandersheim), Marienberg (bei Helmstedt), aus dem Stift St. Blasius in Braunschweig und weiteren Ordenshäusern bieten eine hervorragende Grundlage für weitere Forschungen zu Bildung und Frömmigkeit in mittelalterlichen Frauen- und Männerklöstern. Alle vorhandenen Digitalisate und Beschreibungen der Handschriften sind in der laufend erweiterten Handschriftendatenbank der HAB online frei verfügbar.

Besonders die bisher nur unzureichend erforschten, umfangreichen Bestände aus Marienberg und St. Blasius in Braunschweig werden in näherer Zukunft Gegenstand innovativer Forschungsprojekte sein, in denen es um Literatur, Wissenschaft und Frömmigkeit in Konventen und Ordensgemeinschaften gehen wird. Diese Forschungen sollen auch künftig in Kooperation mit Mittelalterforscher*innen der Universität Oxford und den Bodleian Libraries durchgeführt werden, sodass beide Seiten weiterhin von der Erfahrung und Expertise ihrer Partner*innen profitieren können.

 

#HABewegt

 


Abbildung: Evangeliarium, Cod. Guelf. 84.3 Aug. 2°, 197v.

 

Stipendiat*in: Ana Barnes || HAB

Wisdom and Folly: Experiencing Aging in the Early Modern German World My dissertation addresses the subject of old age and the elderly as an integrative and holistic study of both the experiences and discourses surrounding aging and this specific population of society for sixteenth century Germany. My work combines material from a variety of different […]

Stipendiat*in: Maximiliaan van Woudenberg || HAB

The Anglo-German Library Cormorant: Coleridge and German Libraries Upon returning from Göttingen to England in June 1799, the British Romantic Poet Samuel Taylor Coleridge made a detour to the Herzog August Bibliothek in Wolfenbüttel and the library at Helmstedt University. Coleridge had already gathered materials for a Life of Lessing at the university library in […]

Stipendiat*in: Henning Bühmann || HAB

Die frühen Wittenberger Thesen: Disputationen und Thesenreihen in Wittenberg 1516-1523 Disputationen prägten das universitäre Leben in Mittelalter und früher Neuzeit. In den Jahren ab 1516 erhielten sie an der Theologischen Fakultät Wittenberg eine neue Bedeutung. In einer Art Laboratorium wurden Entwürfe einer neuen Theologie und der daraus resultierenden Konsequenzen für die Reform von Kirche und […]

Das „Große Stammbuch“ Philipp Hainhofers – Hochauflösende Digitalisierung ermöglicht jetzt kunsthistorische Untersuchung bis ins kleinste Detail || HAB

Zwischen 1596 und 1633 haben sich Kaiser, Könige und Fürstinnen, Diplomaten, Gelehrte und Militärs handschriftlich in dieser frühen Form des „Freundschaftsbuchs“ verewigt. Es versammelt aber nicht (nur) Freunde im engeren Sinne, sondern auch und vor allem geschäftliche, politische und gesellschaftliche Kontakte. Das 227 Seiten umfassende Werk enthält zahlreiche von teils namhaften Künstlern gestaltete, reich verzierte Schmuckseiten. Darunter sind Porträts, heraldische, botanische und allegorische Darstellungen. Mit jedem weiteren hochrangigen Beitrag hoben sich der Status sowohl des Werks als auch seines Besitzers.

LINK ZUM DIGITALISAT:
https://diglib.hab.de/mss/355-noviss-8f/start.htm

Die neu entstandenen hochauflösenden Digitalisate ermöglichen ein „Reinzoomen“ bis zu einzelnen Pinselstrichen. So können bei der kunsthistorischen Analyse Darstellungen detailliert verglichen und Inschriften entziffert werden. Der eingehende Vergleich wiederum kann bei dem Versuch helfen, die zum großen Teil noch nicht identifizierten Künstler oder verschiedene Blätter aus einer Hand zu bestimmen. Möglicherweise können sogar frühere Bindungszusammenhänge der variablen Blätter rekonstruiert werden. Zugleich wird durch die Digitalisierung das empfindliche und kostbare Original geschützt.

Die Digitalisierung in hoher Auflösung war aufgrund der konservatorischen Bedingungen und der technischen Ausstattung zeitaufwändig, da jedes Blatt einzeln mit verso- und rectoseite, also der linken und rechten Buchseiten, fotografiert und nachbearbeitet werden musste.

Finanziert wurde der Kauf von der Kulturstiftung der Länder, der Beauftragten des Bundes für Kultur und Medien, der Volkswagenstiftung (im Rahmen des Niedersächsischen Vorab), der Herzog August Bibliothek (Wittchow-Aschoff-Stiftung), der Ernst von Siemens-Kunststiftung, der Stiftung Niedersachsen und der Rudolf-August Oetker-Stiftung. Das Land Niedersachsen finanziert darüber hinaus aus Mitteln des Niedersächsischen Vorab der Volkswagen Stiftung ein dreijähriges Forschungsprojekt an der HAB mit 300.000 Euro, das die Entstehung und Geschichte des Stammbuchs und seiner künstlerischen Ausgestaltung untersucht.

Das personell wie künstlerisch herausragende „Album Amicorum“ soll textlich und ikonografisch – zur Bestimmung und Deutung der Motive - erschlossen, Personennetzwerke erforscht und die Ergebnisse sowohl digital als auch in einer Buchpublikation zugänglich gemacht werden. Ziel des Vorhabens ist die Identifizierung der Personen, die sich eingetragen haben - der Inskribentinnen und Inskribenten - und der von ihnen gewählten Künstler und Motive. Die Einträge werden transkribiert, übersetzt und die teilweise komplexen Bildprogramme ikonografisch erschlossen. Darüber hinaus wird eine räumliche wie akteurszentrierte Einordnung in den Entstehungskontext der Blätter angestrebt.

Weitere Informationen zum Forschungsprojekt „Das Große Stammbuch Philipp Hainhofers“: https://www.hab.de/das-grosse-stammbuch-philipp-hainhofers/

 

Bild: Digitalisat des Eintrags des kursächsischen Hauptmanns Philipp Ernst von Mansfeld-Artern (1560–1631), 1629, der neben einer Devise, Wappen, Allegorien und einer handschriftlichen Widmung eine kleinteilige höfische Szenerie im Hintergrund zeigt (Foto: HAB)

Stipendiat*in: Søren Frank Jensen || HAB

Nikolaus Selnecker’s Commentary on the Psalms (1563–93) The project takes its point of departure in a series of commentaries on the Book of Psalms written by Nikolaus Selnecker and published from 1563 to 1593. The Psalter was treasured across Protestant confessions as a cornerstone in both public worship and private piety in the post-Reformation era. […]

Stipendiat*in: Mette Maria Ahlefeldt-Laurvig || HAB

Women and Childbirth in Early Modern Prayer Books Reformers of the early Lutheran era struggled to rid the birthing room of ‘popish’ antics and as the reformation century wore on, church leaders began to realise that the dangerous, liminal experience of childbirth needed a Lutheran mindset imposed upon it. There was a correct, Lutheran way […]