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9. September 2022Wie fühlt es sich an, wenn eine Geschichte "raus will"? Was ist ein Künstlerbuch? Wie kann man in ein Buch hineingehen? Und wann muss man wieder raus? Über diese und viele weitere Fragen sprechen in Episode Nr. 5 Beldan Sezen ...
Eine Gouacheminiatur auf Pergament (Titelbild) im Großen Stammbuch Philipp Hainhofers (1548–1647) zeigt eine helle Hügellandschaft, im Hintergrund einen Burgberg, über allem einen strahlend blauen Himmel. Zwei Täubchen mit Ölzweigen im Schnabel fliegen auf ein stolzes Ross zu. Auf ihm sitzen vier männliche Figuren, gekleidet in die farbenprächtige und goldverzierte Kleidung von Edelleuten des frühen 17. Jahrhunderts. Über Hose, Wams und Schärpe liegen Mantel und Spitzkragen. Federgeschmückte Hüte sitzen auf langen Locken, die Beine stecken in hellen Stulpenstiefeln mit Sporen. Vorne links sieht man den Wappenschild des Kurfürstentums Sachsen. Eine weibliche Figur mit einem Kranz aus Früchten und Ähren im Haar präsentiert eine Muschelschale mit einem geöffneten Granatapfel. Die Schildhalterin personifiziert Fruchtbarkeit und Überfluss.
Durch das Wappen sind die vier edlen Reiter als Brüder aus dem Hause Wettin zu identifizieren. Es sind die Söhne von Kurfürst Johann Georg I. (1585–1656). Mit den Zügeln in der Hand sitzt zuvorderst der älteste, Kurprinz Johann Georg (1613–1680), dahinter August (1614–1680), Christian (1615–1691) und als jüngster der damals erst zehnjährige Moritz (1619–1681).
Die Miniatur ist Teil einer Doppelseite. Links vom Bild (Abb. 2) stehen die Gottesfurcht ausdrückenden lateinischen Devisen und die Unterschriften der Dargestellten, dazu Ort und Datum: Dresden, 30. September 1629. Umrahmt wird das Ganze von stilisierten Ranken und Blüten.
Abb. 2: Großes Stammbuch Philipp Hainhofers. HAB, Cod. Guelf. 355 Noviss. 8°, S. 94
Abb. 2: Großes Stammbuch Philipp Hainhofers. HAB, Cod. Guelf. 355 Noviss. 8°, S. 94
Die Doppelseite zeigt alle typischen Elemente eines frühneuzeitlichen Stammbuchblatts und ist in ihrer Pracht zugleich ein Beispiel fürstlicher Repräsentation. Stammbücher waren nicht nur ein beliebtes Medium der frühneuzeitlichen Erinnerungskultur, sondern auch ein Instrument, um Förderer oder Verbündete zu gewinnen.
Die schriftliche und bildliche Verewigung der jungen Sachsenherzöge verbinden sich zu einem Idealbild der Herrschaft in Eintracht und Gottesfurcht und verweisen somit auf eine glückliche Zukunft des Landes: So wie die Devisen von einer gemeinsamen Bordüre umkränzt werden, reiten die vier Brüder gemeinsam auf einem Pferd. Ihr Erbe, das blühende Kurfürstentum, steht fest wie die Burg. Nicht nur die Landschaft ist in strahlendes Licht gerückt. Das Taubenpaar spielt auf das Ende der Sintflut an und symbolisiert Frieden. Und doch entstand das Blatt mitten im Dreißigjährigen Krieg. Von dessen Verheerungen war Sachsen bis dahin noch einigermaßen verschont geblieben. Für Philipp Hainhofer hingegen waren die Auswirkungen wirtschaftlich wie gesellschaftlich schon schmerzhaft spürbar. Der Augsburger Kaufmann war in der ersten Hälfte des 17. Jahrhunderts ein bedeutender Kunst- und Informationsvermittler für verschiedene deutsche Fürsten. 1629 reiste er als Mitglied einer protestantischen Delegation nach Dresden, um Kurfürst Johann Georg I. um Beistand zu bitten, die Folgen des Restitutionsedikts in Augsburg zu mildern. Mit dem Edikt hatte Kaiser Ferdinand II. (1578–1637) die katholische Seite dauerhaft begünstigen wollen. Abendgesellschaften, Jagden und Kirchenbesuche brachten Hainhofer in Sachsen mit verschiedenen Personen zusammen. Dies nutzte er mit Charme, Geschick und Nachdruck, um sein damals bereits über 100 Schmuckblätter und Unterschriften umfassendes Stammbuch (Abb. 3) um weitere Einträge zu erweitern. So erhielt er z.B. Beiträge des sächsischen Oberhofpredigers Matthias Hoë von Hoënegg (1580-1645) sowie dessen Cousins und Protegés Hans Paul (1591-1658) und Hans Sigismund (1606-1632) von Wolzogen, die als Glaubensflüchtlinge nach Sachsen gekommen waren (Abb. 4 und 5).
Kurfürst Johann Georg I. selbst hatte Hainhofer schon zwölf Jahre zuvor einen Stammbuchbeitrag durch seinen Kammermaler Johann Fasold (ca. 1570–ca. 1619) versprochen. Er scheint aber nie ausgeführt worden zu sein. Beim Zusammentreffen 1629 führte Hainhofers Weg zum Erfolg vor allem über Kurfürstin Magdalena Sibylle (1586–1659): Sie lud ihn in ihr Kabinett ein, besah sich das Stammbuch und ließ sich von Hainhofer zu einem Eintrag und sogar zu einer Porträtsitzung durch den mitgereisten Lucas Kilian (1579–1637) überreden. Während das Porträt nachweisbar ist, scheint ihr Stammbucheintrag verloren zu sein. So zeugt heute allein die Doppelseite ihrer Söhne von Hainhofers Besuch bei der kurfürstlichen Familie. Diese luden ihn am 8. Oktober zum Essen zu sich, um das Stammbuch zu betrachten. Vielleicht wurde das Album bei dieser Gelegenheit sogar schon um das kleine Bildnis der vier schmucken Reiter erweitert.
Diese Entstehungsgeschichte ist nur eine von vielen, die sich hinter den heute erhaltenen 107 vor allem mit farbigen Miniaturen und Federzeichnungen verzierten Seiten von 94 Personen verbergen. Zusammen bilden sie einen kostbaren Schatz, der einen einzigartigen Einblick in das künstlerische, politisch-diplomatische und gesellschaftliche Wirken von Personennetzwerken im ersten Drittel des 17. Jahrhunderts gibt.
Das Große Stammbuch Philipp Hainhofers, das 2019 aus Privatbesitz für die Herzog August Bibliothek erworben wurde, wird derzeit im Rahmen eines Forschungsprojekts wissenschaftlich erschlossen und dann mit dessen Ergebnissen in seiner ganzen Schönheit als digitale Edition der Öffentlichkeit frei zugänglich gemacht.
An einem Vormittag Anfang März 1701 queren sechs Männer den Schlossplatz von Wolfenbüttel auf dem Weg zum herzoglichen Marstall. Die drei Voranschreitenden sind durch ihre feine Kleidung und den umgehängten Degen unschwer als Adelige zu erkennen. Ebenso leicht sieht man den ihnen Nachfolgenden an, dass sie ihr Einkommen als Diener bestreiten. Die Edelleute sind auf der Durchreise und hatten sich zufällig in einem Gasthof der Residenzstadt kennengelernt. Es stellte sich rasch heraus, dass sie für den heutigen Tag dasselbe Ziel hatten, und so ist der Entschluss schnell gefasst, sich gemeinsam auf den Weg zu machen.
An der Tür des Treppenturms auf der Südseite des Gebäudes empfängt sie Johann Thiele Reinerding, seit 1684 Sekretär der Hofbibliothek und als solcher zuständig für die auswärtigen Gäste, die den berühmten Bücherschatz von Wolfenbüttel sehen wollen. Herzog August hatte seine Bibliothek Anfang 1644 im ersten Stock des Marstalls einrichten lassen, über den Stallungen und unterhalb der ebenfalls zu besichtigenden Kunst- und Rüstkammer. Mehr als 30 Jahre nach Augusts Tod steht die Hofbibliothek noch immer dort, obwohl der Platz längst nicht mehr ausreicht.
Abb. 1
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Von Reinerding angeführt steigen die Männer die Wendeltreppe bis in den ersten Stock hinauf und betreten den langen Saal, dessen vier Seiten bis unter die Holzbalkendecke mit Büchern ausgefüllt sind (Abb. 1). Deren Größe nimmt – vom dickleibigen Folianten bis zum schmalen Octavband – nach oben hin ab, was den Raum höher erscheinen lässt, als er in Wirklichkeit ist. An den beiden Schmalseiten spenden je drei von Büchern gerahmte Fenster Licht. Zwei Reihen mit jeweils drei schulterhohen Regalen durchziehen den Raum. Alles voller Bücher.
Gebannt und fasziniert wandert der Blick der Besucher an den aus zahllosen Pergamenteinbänden gebildeten Wänden entlang, in deren Blassgelb sich die dunklen Rücken der zahlenmäßig weit unterlegenen Lederbände wie Einsprengsel ausnehmen. Der Bibliothekssekretär überlässt die drei Herren einen Moment ihrem Eindruck, bevor er freundlich und routiniert seine Führung beginnt. Zunächst erläutert er die am Eingang angebrachte große Holztafel, auf der in Latein und in goldenen Lettern die Bibliotheksordnung zu lesen ist, die ihr Gründer – Herzog August – verfasst hatte. In besonders lobenden Worten schildert er die Leistungen des gelehrten Fürsten, der im Laufe seines Lebens diese unvergleichlich große und wertvolle Sammlung zusammengetragen habe. Während er sich zum ersten Fenster wendet, um der Gruppe die dort aufgehängten Porträts des Herzogs und seiner Frau zu zeigen, kommt er auf die Anzahl der Bücher zu sprechen: Über 32.000 Bände mit mehr als 135.000 Druckschriften seien es, hinzu kämen noch mehr als 2.170 Handschriften. Genau wüsste er es nicht zu sagen, da die letzte Zählung bereits 17 Jahre her sei. Die Regale dieses Raumes seien ausschließlich mit Theologici und Juridici gefüllt, von denen es so viele gebe, dass einige im anderen Saal aufgestellt werden müssen. Seit dem Tod Augusts im September 1666 kämen zwar noch Bücher in die Bibliothek, doch längst nicht so viele wie früher, weswegen Hofrat Leibniz, dem die Leitung der Bibliothek anvertraut worden sei, den amtierenden Herzog schon lange – bedauerlicherweise erfolglos – um eine Aufstockung des Jahresetats ersuche, denn der betrage gegenwärtig gerade mal 20 Taler. Nach dieser kleinen Spitze gegen seinen Dienstherrn führt Reinerding die Gruppe zur anderen Seite des Raumes, wo auf mehreren Tischen Bücher ausgelegt sind, die schon seit vielen Jahren allen Besuchern der Bibliothek als besondere Kostbarkeiten vorgeführt werden. Die schmalen Durchgänge zwischen den Regalen bedingen, dass die Besucher hintereinander gehen müssen und sich die Gruppe weiter auflöst. Die ohnehin mit Abstand und kaum verhohlenem Desinteresse ihren Herren nachfolgenden Diener geraten daher bald aus dem Sichtfeld des Bibliothekssekretärs.
Als erstes zeigt Reinerding vier äußert dicke Folianten vor: Der Katalog, Herzstück der Bibliothek, verfertigt von des Herzogs eigener Hand. Er erläutert das System, nach dem August seine Sammlung geordnet hatte und wie jeder einzelne Band durch eine eigene „Zahl“ (Signatur) einen Platz erhalten habe, der trotz der wachsenden Anzahl der Bücher stets auffindbar sei. Anschließend bekommt die Gruppe etliche juristische und theologische Pergamentdrucke aus dem 15. und 16. Jahrhundert zu sehen. Danach geht es über den Absatz des Treppenturms in den zweiten Bibliothekssaal, der fast quadratisch ist und kleiner als der erste – aber ebenso rundum mit Büchern in acht Regalreihen angefüllt. Zusätzlich durchmisst ein beidseitiges Regal den Raum in seiner Mitte. Neben den juristischen und theologischen Werken, die im ersten Saal keine Aufnahme mehr fanden, stehen hier – mit Ausnahme der Handschriften – die Bücher der anderen Sachgruppen, allen voran die Historica mit über 7.000 Titeln. Nachdem Reinerding wie üblich zunächst die Luther-Reliquien vorführt (ein gewaltiger Glashumpen und das Tintenfass, das der Reformator auf den Teufel schleuderte), kommt er auf die berühmten Mazarinen zu sprechen: 400 handgeschriebenen Bände in kostbarem roten Maroquinleder, für die Herzog August einst die gewaltige Summe von 24.000 Reichstalern zahlte.
Während Reinerding den Inhalt der Bände erläutert, fällt der Blick eines Dieners auf ein Duodezbändchen in der oberen Reihe des mittleren Regals. Für sich genommen ist es keine besondere Schönheit, doch hebt es sich durch einen Ledereinband mit dekorativem Rücken von den Pergamenteinbänden in seiner unmittelbaren Nachbarschaft deutlich ab (Abb. 2). Die mit Kupfertafeln ausgezierte Beschreibung der Sammlung des Kardinals Gasparo Carpegna, wegen seiner römischen Münzen unter die Historica eingeordnet, verschwindet unbemerkt unter der Kleidung.
Nach der fast dreistündigen Führung in den Gasthof zurückgekehrt wird der Dieb mit bewegter Klinge die auf dem Blattrand unterhalb des Kupfertitels notierte Signatur entfernen, um die Herkunft des Buches zu verschleiern (Abb. 3). Behalten will er es natürlich nicht, schon weil es auf Latein geschrieben ist. Der „Raub-Vogel“, so wird Reinerding ihn in einem Brief an Leibniz nennen, überlässt das Buch abends im Wirtshaus „beym Trunck oder Spiel“ zu geringem Preis einem anderen Diener. Dieser wiederum – ebenfalls des Lateins unkundig und numismatisch auf die klingende Münze spezialisiert – verkauft es bald darauf einem Edelmann. Zufällig ist es einer der drei adeligen Bibliotheksbesucher, die den Diebstahl ungewollt deckten.
Diesem fällt die Signatur auf dem Kopfschnitt des Bändchens ins Auge – 599.24 Hist. – und er erinnert sich an Reinderings etwas umständliche Erklärung des eigenwilligen Ordnungssystems (Abb. 4). Dass dort überhaupt eine Signatur angebracht wurde, verdankte sich dem Einband: Anders als Pergament lässt sich Leder nicht gut mit Tinte beschreiben, so dass die darin eingebundenen Duodezbändchen ihre Signatur auf dem Kopf erhielten. Motivierte der Einband den Diebstahl des Buches, so ermöglichte er zugleich dessen Rückkehr. Denn mit einem Verdacht im Sinn und dem Buch unter dem Rock stattet der Kavalier dem Bibliothekssekretär einen zweiten Besuch ab und bittet ihn, im herzoglichen Katalog nach den Maxima Numismata Rariora zu suchen. Als Reinerding ihm nach einer guten Weile endlich die Signatur nennt, zieht er das Buch hervor und schildert dem erstaunten Bibliothekssekretär, wie es in seinen Besitz gelangte.
Das noch gar nicht vermisste Buch war wieder zurück, doch für den Beamten Reinerding war die Angelegenheit damit noch nicht ausgestanden: Am 26. März informiert er den Herzog über das Geschehene, der sich das Buch – natürlich ordentlich im Ausleihjournal verbucht – vorlegen lässt und umgehend seinen Obermarschall Friderich von Steinberg mit einer Untersuchung beauftragt. Als Reinerding am 29. März schließlich auch seinem Vorgesetzten in Hannover – Gottfried Wilhelm Leibniz – schreibt, weiß er schon zu berichten, dass sich der Täter in Arnstadt aufhalten soll. Außerdem notiert er als dauerhaftes Andenken an den Wirtshausbesuch des Buchs eine Kurzfassung des Vorfalls auf dessen fliegendem Blatt (Abb. 5). Seither ist das Buch nicht nur Quelle zur Geschichte des antiken Münzwesens und dessen frühneuzeitlicher Wahrnehmung, sondern gibt auch bereitwillig Auskunft über seine eigene, zumindest kurzzeitig bewegte Vergangenheit. Von weiteren Ausflügen dieser Art ist bislang nichts bekannt.
Titelbild: Giuseppe Monterchi, Giovanni Pietro Bellori: Rariora Maximi Moduli Numismata Selecta Ex Bibliotheca […] Casp. Carpegnae, Amsterdam: Wetstein 1685. HAB: A: 599.24 Hist.
Abb. 1: [Caspar Merian nach Conrad Buno]: F[ürstlich] B[raunschweig-]L[üneburgische] Bibliotheca in Wolffenbüttel, in: Martin Zeiller, Matthäus Merian: Topographia und Eigentliche Beschreibung Der Vornembsten Stäte, Schlösser auch anderer Plätze und Örter in denen Hertzogthümer[n] Braunschweig und Lüneburg, Frankfurt a. M.: Merian 1654, Ausschnitt. HAB: Top 1 a : 05.2.
Quellen
[Anton Ulrich von Braunschweig-Lüneburg]: Project etlicher Puncten zur instruction für den Fürstl. Bibliothecarius, 22. Juli 1686. Hannover, Niedersächsisches Landesarchiv: Hann. 153 Acc. 2004/107 Nr. 1, Bl. 101–112
Samuel Chappuzeau: Suite de l’Europe vivante, Contenant La Relation d’un Voyage fait en Allemagne Aux Mois d’Avril, May, Iuin, Iuillet & Aoust de l’anné MDCLXIX, Genf: Widerhold 1671, S. 349–351.
Ingrid Recker-Kotulla: Zur Baugeschichte der Herzog August Bibliothek in Wolfenbüttel, in: Wolfenbütteler Beiträge. Aus den Schätzen der Herzog August Bibliothek 6 (1983), S. 1–73.
Gottfried Wilhelm Leibniz u. a.: Beschreibung der Aufstellung in den Räumen des Marstalls (1695?). HAB: BA II, 202 [ohne fol.].
Mechthild Raabe: Leser und Lektüre im 17. Jahrhundert Die Ausleihbücher der Herzog August Bibliothek Wolfenbüttel 1664–1713 (Leser und Lektüre vom 17. zum 19. Jahrhundert. Die Ausleihbücher der Herzog August Bibliothek Wolfenbüttel 1664–1806, T. A), 2 Bde., München 1998, Bd. 2, S. 205.
Johann Thiele Reinerding an Gottfried Wilhelm Leibniz, 29. März 1701, in: Gottfried Wilhelm Leibniz: Sämtliche Schriften und Briefe. Reihe I: Allgemeiner, politischer und historischer Briefwechsel, Bd. 19, Berlin 2005, Nr. 53, S. 86-88.
Gottlieb Stolle: [Journal der Jahre 1703/04]. Wroclaw, Biblioteka Uniwersytecka: Cod. IV oct. 49.
Der Autor
Stellvertretender Leiter der Abteilung Forschungsplanung und Forschungsprojekte
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Die Herzog August Bibliothek und die Curt Mast Jägermeister Stiftung zeichnen die Künstlerin und Autorin Beldan Sezen (New York/Amsterdam) mit dem Künstlerbuchpreis 2022 aus.Beldan Sezen beschäftigt sich mit dem Thema Isolation. In ihr...
I must have been about four when I dropped my doll onto the streets of my hometown. An elderly man would pick it up and hand it back to me. Thank you, sir! I was told by my parents to always be polite. Only this time my parents told me otherwise. Once back home I was spanked for calling him “Sir.” You see . . . he was not ‘we’, and you never say “Sir” to a ‘colored’ person. NEVER! NOT WE.
Diese kurze Episode macht deutlich: „Weiß“ zu sein ist ein soziales Konstrukt und Abgrenzung wird allein durch die Macht der Sprache möglich. Doch es geht dabei auch um Wahrheit und Mut. Denn das kleine Mädchen, dem diese Geschichte widerfahren ist, entscheidet, dass die Wahrheit der Eltern nicht ihre ist. Es entscheidet, nicht mehr Teil dieses „Wir“ zu sein und hat den Mut, die Haltung der eigenen Eltern in Frage zu stellen.
Beldan Sezen geht es um das Aufzeigen der Grenzen des menschlichen Miteinanders und darum, dem Ungesagten Raum zu geben. Deshalb sind ihre Worte und Bilder – oder eben deren Auslassung – gleichermaßen wichtig. Mit dem Buch „Wetrocities“ (Malerbücher 69.FM 6) hinterfragt sie, warum Themen tabuisiert werden, welche Auswirkungen es hat, in diesen sozialen Strukturen zu leben und wann das Empfinden sozialer Gerechtigkeit greift.
Die Konstruktion von „Weiß“ wird auch in der Materialauswahl von „Wetrocities“ sichtbar: Beldan Sezen verwendet kein rein weißes Papier für ihr Buch, sondern alltägliches Zeitungspapier, als Ausschnitt unserer Gegenwart, welches sie mit weißer Farbe übermalt. Dabei scheint die Schrift – an einigen Stellen mehr, an anderen weniger – weiterhin durch. Die handgeschriebenen Geschichten werden durch ihre Zeichnungen in Blotted-Line-Technik visualisiert. Andy Warhol hat diese Technik für die serielle Reproduzierbarkeit von Alltagsmotiven entwickelt. Dabei wird eine Bleistiftzeichnung mit Tusche auf durchscheinendes Papier kopiert und anschließend abgedruckt. Die Stärke der Linien lässt sich dadurch verändern; das Bild entsteht fast zufällig, da das Ergebnis auf dem bedruckten Blatt nicht kontrolliert werden kann und die gedruckte Linie nie so sauber und ordentlich wie in der Bleistiftversion ist. Sezen kontrastiert ihre Tuschezeichnungen anschließend mit leuchtendem Gelb. Eine Signalfarbe, die einerseits Aufmerksamkeit weckt, andererseits auch als Warnung wahrgenommen werden kann, indem sie einen kritischen Zustand markiert, der menschliches Eingreifen erfordert. „Wetrocites“ gibt Denkanstöße: Ganz subversiv wird durch die Dialektik von Schwarz und Weiß, Gegenwart und Geschichte, Intensität und Reduktion, ein gesellschaftspolitisches Statement gesetzt.
Beldan Sezens Werk umfasst Graphic Novels, Künstlerbücher, Zeichnungen, Essays und Installationen. Sie ist türkischer Abstammung, gebürtige Deutsche und lebt sowohl in Amsterdam als auch in New York, wo sie sich in der Künstlervereinigung Booklyn engagiert. Für ihr Konzept eines begehbaren Buches wurde Sezen mit dem diesjährigen Künstlerbuchpreis der Herzog August Bibliothek und der Curt Mast Jägermeister Stiftung ausgezeichnet. Im Rahmen der Preisverleihung am 14. September präsentiert die Künstlerin in einer Performance ihr Werk in der Augusteerhalle. Wir möchten Sie herzlich einladen, an der Veranstaltung teilzunehmen; Der Eintritt ist frei, um Anmeldung per E-Mail an kulturprg@hab.de oder telefonisch unter 05331/808-203 wird gebeten.
Es wird oft vergessen: Schon früh sind in Künstlerbücher die Erfahrungen des Krieges und seiner Folgen eingegangen, schon früh auch als Threnoi, als Trauer- und Klagelieder. So in jenen berühmten Totengesang, der aus der Zusammenarbeit – und Freundschaft – von Pablo Picasso und dem Lyriker Pierre Reverdy hervorgegangen ist. 1944/1945 entstanden und 1948 bei Tériade in Paris erschienen, bewahrt der „Chant des morts“ die Leiden des Zweiten Weltkriegs, indem er Reverdys handschriftlichen Text und Picassos leuchtend rote Punkte und Linien in einen geradezu magischen Dialog treten lässt. Die Herzog August Bibliothek erwarb ein Exemplar des Buches noch in der „Ära Kästner“ 1965.
Auch Erik Ruin, der 1978 als Erik Reuland in Detroit geboren wurde, führt in seinem 2019 erschienenen Künstlerbuch Erfahrungen von Krieg, Flucht und Völkermord zusammen – geht dabei aber ganz eigene mediale Wege. „A Threnody for the Dispossessed“, die zwei Jahre nach ihrem Erscheinen als erstes von zehn handsignierten Exemplaren für die Herzog August Bibliothek erworben wurde, umfasst eine über 18 Meter lange Bahn von 30 siebgedruckten Bildern in Leporellofaltung. Jede Bildseite wird von den Stimmen – von den Erfahrungen – Geflüchteter bzw. Überlebender begleitet, die mit Hilfe eines beiliegenden USB-Speichersticks eingespielt werden können. Ruin selbst hat Frauen und Männer aus dem Nahen Osten und aus Südamerika interviewt, aber auch Aufnahmen von Gesprächen mit Opfern nationalsozialistischer Gewalt integriert. Hinzu kommen Kompositionen des Musikers Julius Masri, der aus dem Libanon stammt, der wie Ruin aber in Philadelphia lebt und arbeitet. Ruin bezeichnet den auf diese Weise entstandenen multimedialen „chorus of voices“ in einem ebenfalls beiliegenden Booklet als „wailing ode“ und verweist damit zugleich auf sein Selbstverständnis als Performancekünstler. Das Booklet bietet Transkriptionen aller Tonaufnahmen.
Die Bilder selbst folgen einer alles in allem einfachen Formensprache, die an Holzschnitte erinnert, die aber die dargestellte Gewalt nicht völlig aus ihren historischen Bezügen löst: bis hin zu den Ertrunkenen, deren Körper nur noch schemenhaft fragmentiert im Meer zu erkennen sind. Ja, man kann der Kunsthistorikerin Viola Hildebrand-Schat zustimmen, die diese Sprache einmal mit der Sprache von „Bilderbögen“ verglichen hat. Eine Beobachtung, die auf viele Arbeiten Ruins zutrifft – und die sogar geeignet scheint, das ebenfalls 2019 erschienene Künstlerbuch „Letter from Isolation“ zu charakterisieren, das auf den Briefen Ulrike Meinhofs aus dem „toten Trakt“ der Justizvollzugsanstalt Köln-Ossendorf beruht. Eine Beobachtung zudem, die ohne Frage mit dem Interesse des Künstlers an Puppenspiel, Schattentheater und Scherenschnitt zu tun hat.
„A Threnody for the Dispossessed“ entstand im Rahmen eines transkulturellen Projekts des Swarthmore College in Pennsylvania, das Buchkünstler*innen aus der ganzen Welt zusammenführte, aber auch Dichter*innen umfasste. Die Künstlerbücher, die aus diesem Projekt hervorgingen, sind inzwischen u.a. in Philadelphia und New York ausgestellt worden.
28.06.2022Prinzessin Sophie aus dem polnischen Königshaus der Jagiellonen unterhielt als Herzogin von Braunschweig-Wolfenbüttel umfangreiche Korrespondenzen in lateinischer, italienischer und polnischer Sprache, betätigte sich als Diplomatin z...