Musik- und Medienedition im Digitalen Zeitalter: Brauchen wir einen neuen Editionsbegriff? || musiconn.​kontrovers

Ich möchte Sie einladen, eine strategische Perspektive auf den Bereich der Musik- und Medienedition einzunehmen und eine Vorstellung davon zu entwickeln, wie sich unser Editionsbegriff in den kommenden Jahren des sogenannten digitalen Zeitalters weiter entfalten könnte. Dazu erörtere ich zunächst einige allgemeine Aspekte der Edition (ich fokussiere dabei auf Musikedition, werde schließlich aber beim Begriff der Medienedition landen), um anschließend auf aktuelle Bedingungen im Umfeld der digitalisierten Wissenschaftspraxis zu sprechen zu kommen und Vergleiche zu den Entwicklungen im Bereich der Textedition zu ziehen. Daraus resultieren mehrere Punkte, die es bei der zukünftigen Konzeption von Musik- und Medieneditionen zu berücksichtigen gilt. 1. Edition? 1.1 Sinn und Zweck von wissenschaftlichen Editionen Ein Anspruch der wissenschaftlichen Musikedition besteht darin, historische Werke oder Quellendokumente der Musik kritisch zu erschließen und langfristig allgemein verfügbar zu machen. Erwartet wird die Verlässlichkeit des Notentextes vor dem Hintergrund der vorhandenen Überlieferung und deren transparente Darstellung, erarbeitet nach wissenschaftlichen […]

Klassismus in der Musikwissenschaft || musiconn.​kontrovers

Diskriminierungen sind in den vergangenen Jahren ein vieldiskutiertes Thema – auch unter Musikwissenschaftler*innen.[1] In Forschungsprojekten, Diskussionsrunden und Lehrveranstaltungen werden regelmäßig verschiedene Diskriminierungsformen im Musikbetrieb diskutiert (z. B. aufgrund von Migrationsbiographien, Geschlecht oder sexueller Orientierung). Die Frage, wie es mit diesen Problemen innerhalb der musikwissenschaftlichen Fachcommunity aussieht, wird allerdings selten gestellt (zumindest in der historischen Musikwissenschaft). Ein Begriff, der in musikwissenschaftlichen Kontexten bislang kaum zur Sprache kommt, ist ‚Klassismus‘, also die „Diskriminierung aufgrund der sozialen Herkunft oder aufgrund der sozialen Position“.[2] Klassismus – zunächst verbreitet in seiner englischen Form „classism“ – richtet sich insbesondere gegen „Menschen mit geringem kulturellen Kapital (z. B. ohne höhere Bildungsabschlüsse) und gegen solche, die unter ökonomisch weniger privilegierten bis prekären Bedingungen leben (die z. B. erwerbslos, geringverdienend oder obdachlos sind).“[3] Er meint nicht nur die strukturelle Ungleichbehandlung von Menschen aufgrund der aktuellen individuellen ökonomischen Verhältnisse, sondern auch aufgrund der Umstände, in denen eine Person aufgewachsen ist. Beachtung findet das […]

Kann man die Geschichte der Musik­theorie dezentra­li­sieren? || musiconn.​kontrovers

Die Einladung, die Blogserie Can the History of Music Theory Be Decentered?, die 2020 auf dem History of Music Theory Blog erschien, in deutscher Übersetzung auf dem musiconn.kontrovers Blog zu veröffentlichen, bringt eine interessante Herausforderung mit sich. Selbstverständlich gibt es wichtige Parallelen im deutschen und amerikanischen musiktheoretischen Diskurs, und die Perspektive, eine weiterführende Diskussion anzukurbeln, erscheint verlockend. Aber zunächst stehen ganz eindeutig die Eigenheiten der US-Kultur im Vordergrund, die ursprünglich zu diesen Überlegungen zu einer Dezentrierung geführt haben. Da wäre zuallererst die Black-Lives-Matter-Bewegung zu nennen, und praktisch im gleichen Atemzug die Regierung von Donald Trump, die in den vergangenen Jahren in den USA den politischen und kulturellen Ton gesetzt hat. Sicherlich nicht zu Unrecht hat Ta-Nehisi Coates Trump provokant als Amerikas „ersten weißen Präsidenten“ bezeichnet – als den Nachfolger Obamas nämlich, der sich ganz ausdrücklich (und nicht nur unter der Hand) um die Belange seiner vorwiegend weißen Wählerschaft kümmerte.