Am 14. April 2024 ist kontrovers auf die Blogplattform hypotheses.org umgezogen. Neue Texte erscheinen ab sofort ausschließlich dort. Alle seit 2018 bei musiconn.kontrovers erschienenen Beiträge und Kommentare sind unter der neuen Adresse zu finden. S...
Digitalität ist eine Hilfsmethode und erzeugt an sich noch keinen Erkenntnisgewinn. Dieser hängt von den Forschungszielen und den fachwissenschaftlichen Methoden ab. Deswegen schreiben sich, gut beobachtbar, die intradisziplinären Grenzen in der Musikwissenschaft auch im Digitalen weiter fort. Und ich sehe keinen Anlass, anzunehmen, dass sich daran in absehbarer Zeit etwas ändern wird. Digitale Methoden haben selten einen direkten Mehrwert, denn fast alles ließe sich auch analog umsetzen und wurde meistens auch schon analog umgesetzt. Der Aufwand ist im Analogen allerdings oft ungleich höher, das heißt, bestimmte Dinge, wie etwa Klangfarben- und Interpretationsforschung oder Korpusstudien lassen sich ohne digitale Unterstützung kaum praktikabel durchführen, zumindest nicht im großen Stil. Digitalität bietet zunächst quantitative Vorteile, die aber in qualitative umschlagen können. Insofern ist sie ein Ermöglicher – aber kein Allheilmittel. Zudem herrscht ein gewisser allgemeiner gesellschaftlicher Imperativ der Digitalität, der auch vor der Musikwissenschaft nicht Halt macht, und dem man sich stellen muss. […]
Es ist eine Tradition in Texten zu „Digitalität” in der Musikforschung, gleich zu Beginn festzustellen, dass diese bereits seit vielen Jahren zum festen Bestandteil des musikwissenschaftlichen Methodenrepertoires gehört. Ebenso ist es üblich, darauf hinzuweisen, dass diese „neuartigen Methoden“ ein ungeahntes Potential für unsere Disziplin freilegen können/sollen/werden, und dass es sich deshalb lohnt, in sie zu investieren. Eine andere Texttradition hingegen verweist darauf, dass der bisherige Ertrag von computergestützten Methoden allenfalls als mäßig beschrieben werden könne. Der Nachweis erstens der Neuheit und zweitens des qualitativen Zugewinns algorithmisch oder statistisch erzeugter Resultate gegenüber händisch in Eigen- und Einzelarbeit erzeugten Erkenntnissen stehe noch aus. Ich halte es selten für eine gute Idee, „das Neue” als herausragendes Merkmal darzustellen. Bekanntlich ist der Grad der Novität nur allzu schnell abgenutzt, wie es etwa bei der Neuen Musik (mit großem „N“) oder den neuen Bundesländern (mit kleinem „n“) der Fall ist. In diesem Beitrag möchte ich […]
Welche Chancen, Herausforderungen oder Risiken sehen Sie in Bezug auf die Digitalität speziell in der Musikethnologie? Grundsätzlich möchte ich zunächst bemerken, dass Digitalität im Sinne der flächendeckenden Verbreitung internetbasierter Technologien und damit einhergehender gesellschaftlicher Transformationsprozesse durch eine starke Unübersichtlichkeit gekennzeichnet ist (Stalder 2017). Unter den Begriffen a) Referentialität, b) Gemeinschaftlichkeit und c) Algorithmizität fasst Stalder wie folgt zusammen: a) zunehmend gemeinschaftlich produzierte (künstlerische) Praktiken und Prozesse; b) kommunale digitale Sphären (beispielsweise Sozialmedien, aber auch Wikipedia); c) umfasst schließlich die dafür nötigen technischen Grundlagen, deren Funktionsweisen und daraus resultierende Implikationen (algorithmische Resultate, nicht aber deren vorgelagerte mathematische Prozesse sind für Einzelne, aber auch Gruppen hinreichend verständlich). Eine Chance für musikethnologische Aktivitäten böte in diesem Sinne und meiner Ansicht nach insbesondere die gezielte Teilhabe an solchen Technologien, die partizipative, interaktive und individuell gestaltbare Wissenszugänge ermöglichen und deren aktive und dauerhafte Förderung sicherstellen. Nehmen wir als ein Beispiel eine fiktive musikethnologische digitale Plattform, […]
Welche Rolle spielt datenbasierte und computergestützte Forschung in Ihren Augen in der (deutschen) Musikwissenschaft? Da sich Systematische Musikwissenschaft (Musikpsychologie, Akustik, empirische Musiksoziologie) primär als empirische Wissenschaft versteht, spielen dort Daten und die entsprechende Software zur Datenauswertung (z. B. Statistik-Software) eine zentrale und ganz selbstverständliche Rolle im Forschungsprozess – und das nicht erst seit der Jahrtausendwende. In der Historischen Musikwissenschaft gibt es zumindest vereinzelte Ansätze zu einer computergestützten Forschung, z. B. indem Textsammlungen (historisches Musikschrifttum) computergestützt inhaltsanalytisch ausgewertet oder Notenrepertoires statistisch beschrieben und hinsichtlich von Mustern durchsucht werden. Inwieweit der von Fabian Moss erwähnte derzeitige Hype um digitale Noteneditionen zu mehr datenbasierter Forschung führen wird, bleibt abzuwarten – zumindest wird eine solche Forschung durch immer mehr Noten in computerlesbaren Formaten sowie durch verbesserte OMR (optical music recognition) zunehmend möglich. Bei Audiodaten – wie sie ja Grundlage der Forschung in der Musikethnologie, Jazz- und Popularmusikforschung, aber vielfach auch der historischen Aufführungsforschung sind – kann […]
Digitalisierung ist ein Diskussionsthema für Alle und Keinen. Einerseits wird spätestens nach der Pandemie wohl jeder, der diesen Blog konsultiert, in irgendeiner Form in der akademischen Lehre und Forschung eigene digitale Kompetenzen besitzen. Andererseits bleibt wissenschaftliche Forschung oft von Spezialkenntnissen vor allem bei der Programmierung und Codierung abhängig, die in unserem Fach bislang nicht als eigener Lehrinhalt vermittelt werden. Pflichtkurse im Programmieren werden weder in den Schulen noch in einem musikwissenschaftlichen Modulhandbuch mal so eben eingeführt. Ein pragmatischer Weg könnte es sein, entsprechende Fort- und Weiterbildungen stärker zu nutzen, zum Beispiel gezielt auch für studentische Hilfskräfte. Das Schlagwort der Digitalisierung entlastet also nicht von der Differenzierung. Die musikwissenschaftliche Interpretationsforschung zum Beispiel nutzt digitale bzw. digitalisierte Quellen in einer sehr spezifischen Weise. Ältere Tonträgerformate müssen zwingend in irgendeiner Form digitalisiert werden, um mithilfe softwaregestützter Verfahren ausgewertet werden zu können (beinahe ein Monopol besitzt hierfür derzeit der Sonic Visualiser). Dies unterscheidet sich […]
Wird nach den Chancen digitaler Methoden für die Musikwissenschaft gefragt, so stellt sich zunächst die Frage, was mit „Musikwissenschaft“ gemeint sei. Die Systematische Musikwissenschaft, die sich in ihren Methoden teils an die Naturwissenschaften, teils an die Sozialwissenschaften anlehnt, ist ohne Anwendung digitaler Verfahren längst nicht mehr zu denken. Die Arbeit mit großen Datenmengen und ihre statistische Auswertung ist auf den Computer angewiesen. Clusterungen, semantische Netzwerkanalysen, Faktorenanalysen usw. setzen den Rechner als substanzielles Arbeitsinstrument voraus. Ein Teil des Problems – und dass es ein Problem ist, zeigt sich schon daran, dass hier die (eigentlich doch auf der Hand liegenden) Chancen diskutiert werden müssen – besteht darin, dass wahrscheinlich die Historische Musikwissenschaft gemeint ist, wenn von „Musikwissenschaft“ die Rede ist, vielleicht auch insgesamt die „kultur-“ oder „geisteswissenschaftlich“ ausgerichteten Teilbereiche der Musikwissenschaft (also historische und ethnologische Musikwissenschaft). Nur dort scheint eine solche Diskussion nötig zu sein – in der Systematischen Musikwissenschaft wäre die […]
Der Aufbau der Nationalen Forschungsdateninfrastruktur (NFDI), begonnen im Jahr 2020, ist ein politisch gewolltes und vom Bundesministerium für Bildung und Forschung gefördertes Großprojekt, mit dem Ziel, die Digitalisierung voranzutreiben und über alle Wissenschaftsbereiche miteinander vernetzte und kompatible Infrastrukturen für Forschungsdaten bereitzustellen. Für die Wissenschaften, die sich mit materiellem und immateriellem Kulturerbe beschäftigen, ist NFDI4Culture – ein von neun Institutionen getragenes Konsortium – angetreten, um Services und Infrastrukturbausteine zur Verfügung zu stellen.[1] Wie alle Konsortien bewegt sich NFDI4Culture mit seinen Aktivitäten zwischen konkreten Hilfestellungen – wie beispielsweise der Antragsberatung für Einzelprojekte im NFDI4Culture Helpdesk – und der großen strategischen Ausrichtung an übergeordneten internationalen Strukturen, wie der European Open Science Cloud und die Anbindung an diese. Um die Fächer optimal zu unterstützen und die Interessen möglichst passgenau zu vertreten, versucht NFDI4Culture durch verschiedene Formate aktuelle Entwicklungen und Bedarfe zu verstehen. Vor diesem Hintergrund haben wir Vertreter:innen aus verschiedenen musikbezogenen Forschungsbereichen – unter […]
Welche Rolle spielt Musik als Teil digitaler Kultur in Ihrer Wahrnehmung und im aktuellen Fachdiskurs? Obwohl sich das Feld der Historischen Musikwissenschaft auf Phänomene aller Musikepochen richtet, sind natürlich auch aktuelle Entwicklungen der Musikkultur im Blick der Forschung. Dass sich in der und durch die digitale(n) Ära eine profunde Transformation von Musikproduktion, -rezeption und insbesondere -distribution vollzogen hat, ist unumstritten, und entsprechend richtet sich die Forschung gerade der letzten Jahre stärker auf diese Problematiken, wie auch am Programm der Jahrestagungen der Gesellschaft für Musikforschung 2022 in Berlin und 2023 in Saarbrücken zu sehen ist. Gleichzeitig würden sicherlich viele unserer Fachvertreter*innen – ich auch! – vehement eine Kategorisierung von Musik – um die Frage einmal zu überspitzen – nur als Teil oder gar Unterkategorie digitaler Kultur verneinen wollen. Dass Musik aber in der und für die digitale(n) Kultur eine zentrale Rolle spielt, ist sicher unbestreitbar: die Plattform TikTok ist hierfür das […]
Flüchtlingskrise, Finanzkrisen, Pandemie – die ‚Krise als neue Normalität‘ bzw. die Vorstellung von einem anhaltenden Krisenzustand prägen zunehmend das gesellschaftliche Bewusstsein. Dabei stellt die Klimakrise langfristig und global die vielleicht größte Herausforderung dar.Auch den Musikbetrieb stellt der Klimawandel vor neue (ästhetische) Herausforderungen: Ensembles und Instrumentenbau überdenken ihre Tätigkeit vor dem Hintergrund von Fragen künstlerischer wie ökonomischer Nachhaltigkeit. Komponist:innen und Dramaturg:innen sehen ihre neue (politische) Aufgabe in Krisenzeiten darin, den Klimawandel in Konzertprogrammen und Kompositionen zu thematisieren. Und Aaron S. Allen richtet für das noch junge Feld der Ecomusicology die (provokante) Frage an die Musikwissenschaft: ‚Is musicology part of the solution or part of the problem‘? Mit diesen Formulierungen haben wir in einem CfP zu einer Tagung zum Thema „Musik und Klimawandel: Künstlerisches Handeln in Krisenzeiten“ eingeladen, die vom 15.–17.09.2023 an der Folkwang Universität der Künste (Essen) in hybrider Form stattfinden wird. Gerne nutzen wir vorab die Gelegenheit, in diesem Blogbeitrag […]